The Deconstructing Bee

Wie Apologetik auf Nicht-(mehr)-Glaubende wirkt.

Lesezeit: 3 Minuten

In Short

  • Apologetik verteidigt den christlichen Glauben - nach außen eher ineffektiv. Aber warum?
  • Wir reden aufgrund verschiedener Denkvoraussetzungen aneinander vorbei.
  • Die entscheidende Frage ist: Welches Weltbild erklärt die Welt besser?

Ich war eine Christin, die sich in ihrer Freizeit gern mit Apologetik auseinandergesetzt hat. Das ist durchaus etwas nerdy: Apologetik beschäftigt sich mit der Verteidigung des christlichen Glaubens. Sie antworten auf Anfragen, die von innen und außen gegen die christliche Lehre vorgebracht werden. Das ist eine Disziplin mit echt bemühten Menschen, interessanten Ideen und spannenden Antwortmöglichkeiten aus Hilfswissenschaften.

 

Als Christin fand ich es zum Teil überzeugend, zum Teil einfach nur interessant. Aber seitdem ich dekonstruiere (und mich damit mehr in der offiziellen Zielgruppe von Apologetik befinde), habe ich das starke Gefühl, dass sie völlig am Ziel vorbeischießt.

Bestimmt spielen da meinerseits kognitive Verzerrungen wie der Bestätigungsfehler oder der In-Group-Out-Group-Bias eine Rolle, aber ich glaube, es kommt noch etwas anderes dazu:

Das Sicherheitsnetz

Zwar lassen sich viele Anfragen aus christlicher Perspektive kohärent beantworten, aber auch für die, bei denen es auf den ersten Blick keine zufriedenstellende Antworten gibt, gibt es eine Lösung: Es gibt immer theologische Vorannahmen, auf die sich der Christ/die Christin zurückfallen lassen kann.

 

Es ist wie ein Netz, gewebt aus Gottes Charaktereigenschaften wie Liebe, Beständigkeit und Gerechtigkeit; seinen Taten wie die Erlösung durch Jesus; und seinen Versprechen wie dem der Errettung durch Glauben. Hinzu kommen noch einige Grundkonstanten der menschlichen Existenz: die Gottesebenbildlichkeit, der freie Wille, der Sündenfall und die daraus resultierende Erlösungsbedürftigkeit. Diese Statements sind die Sicherheit des Weltbildes.

 

Wenn immer schwierige Fragen gestellt werden, sei es die Theodizee-Frage, Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Bibel oder sonst irgendwas, fängt dieses Netz den Fragenden auf. So entsteht bei den ChristInnen das Gefühl, die Frage zufriedenstellend beantwortet zu haben: Denn innerhalb des Systems ergibt jeder einzelne Schritt Sinn.

 

In meinem Dekonstruktionsprozess bin ich immer wieder an der Diskrepanz zwischen den Attributen Gottes und der christlichen Metaerzählung hängengeblieben. Es häuften sich Fragen an das Narrativ aufgrund der Eigenschaften Gottes. Ganz grundlegend beginnen Dekonstruktionsprozesse häufig damit, dass Menschen das eben beschriebene Netz hinterfragen: Von außen auf das christliche „System“ zu schauen, bedeutet, sich die Frage zu erlauben, ob ein Gott wirklich so handeln würde, wenn er allmächtig, allwissend und durch und durch gut wäre.

Warum? Einfach so.

Spielen wir das mal an einem Beispiel durch: Auf die Frage, warum Jesus sterben musste, kommt von christlicher Seite sowas wie: „Weil Sünde etwas ist, das zwischen Gott und Mensch steht, braucht es ein Opfer.“ Aber beide reden auf verschiedenen Ebenen miteinander: Dekonstruierende hinterfragen das System, während die christliche Person innerhalb des Systems antwortet: Sie antwortet einfach mit einem vorhergehenden Glied in der kausalen Kette der Theologie.

 

Die Kette von freiem Willen, Sünde/Konsequenzen für die Welt, Erlösung, Glauben usw. hilft aber nicht mehr, wenn man infrage stellt, ob es wirklich so sein muss. Denn wenn es wirklich so ist, dass Gott existiert, hat er sich jedes Glied der Kette erdacht und die einzelnen Lehren miteinander verknüpft. Er hat die Welt, Logik, einfach alle Gegebenheiten erdacht und ist für sie zu verantworten. Gott hätte alle Freiheit gehabt, die Welt anders zu gestalten.

 

Was ist also die Antwort auf die Frage, warum der Jesus sterben musste und wie dadurch Gerechtigkeit wiederhergestellt werden kann? Weil Gott sich ein System ausgedacht hat, in dem er ein Opfer braucht, um uns nah zu sein. Heruntergebrochen wäre die Antwort auf jede Frage an das Christentum: „Weil Gott es so will.“

Warum ist das ein Problem?

Aber dann ist es eben so, oder? Was ist das Problem, dass ein Außenstehender mit der Souveränität Gottes hat?

Klar ist, dass das Heilssystem des Christentums nicht falsifizierbar ist.

 

Über eingesetzte Systeme eines nicht beweisbaren höheren Wesens lässt sich nur etwas aussagen, wenn man voraussetzt, dieses Wesen hätte sich so offenbart, dass wir sein System gut genug verstehen.

 

Da kann ich noch so viel darüber schreiben, wie doof ich das System finde. Wenn es wahr ist, ist es völlig egal, wie gut, gerecht oder sinnvoll ich es finde.

Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen „nicht falsifizierbar“ und plausibel.

Das plausibelste Weltbild!?

Nehmen wir für einen Moment mal an, dass es diesen Gott gibt. Ich denke, es ist theologisch durchaus schlüssig, dass dieser Gott ein Interesse daran hätte, ein System zu schaffen, das aus menschlicher Perspektive die Welt gut erklären.

Wenn ich mir die Welt anschaue und mir das Netz theologischer Vorannahmen wegdenke, so stellt sich mir die Frage: Erklärt das Netz die Welt wirklich so gut?

  • Eine Welt mit Evolution durch eiskalte natürliche Selektion.
  • Eine Welt mit Erdbeben, Wüsten und Überschwemmungen.
  • Eine Welt mit Jahrtausenden, in denen Kulturen und Religionen kamen und gingen, schon bevor dieses eine kleine Volk Jahwe anbetete.
  • Eine Welt mit allem von Psychologie, Kunst, Quantenphysik, Medizin Hochhäusern, Atomkraft bis Musik.
  • Ein unglaublich komplexes Universum, das nicht mal ansatzweise erforscht ist. Menschen, die tief lieben und begeistert lernen, aber auch unfassbar leiden und sehr fehlbar sind.
  • Wir haben Gehirne, die super anfällig für Vorurteile und kognitive Verzerrungen sind.

In dieser hochkomplexen Welt soll es wirklich nur darum gehen, die richtige Vorstellung von einem Gott für plausibel zu halten und an ihn zu glauben!? Geht es wirklich zwischen Freundschaften, Essen, Bildung, Beziehungen, Beruf usw. letztendlich nur darum, ob man die Vergebung von jemandem, der vor 2000 Jahren gekreuzigt wurde, annimmt oder nicht?

Ich glaube, deshalb funktioniert die apologetische Kommunikation zwischen nicht-mehr-Glaubenden und ChristInnen oft nicht: Wenn man von außen auf das System schaut, dann fangen die wirklichen Fragen an, die nicht beantwortet sind, wenn man einfach auf das vorhergehende Kettenglied verweist. Die eigentliche Frage von atheistischer Seite ist, ob das System die Welt wirklich so gut erklärt, wie es von sich glaubt.

Es gibt Gedanken, die man einmal hatte und dann nicht mehr loswird. Das ist gefühlt gefährlich. Aber eigentlich sollte es das nicht sein. Wenn es diesen Gott gibt, hat er ein Interesse daran, dass wir ihn finden. Dann ist die Suche nach Plausibilität und Wahrheit nicht gefährlich. Ich will dich dazu ermutigen, weiter zu fragen. Auch wenn es unbequem und unsicher ist.

Was sind in deiner Erfahrung solche Gedanken, die du nicht mehr loswirst? Wenn du da noch tiefer drüber nachdenken möchtest, könnte dir diese PDF mit Journaling-Fragen dienlich sein. Ich freue mich, in den Kommentaren von dir zu hören!

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