The Deconstructing Bee

Knapp daneben ist auch vorbei

Lesezeit: 3 Minuten

In Short

  • Es gibt so schöne Bibelverskarten!
  • Stell dir mal vor, es würde ein Zahlendreher, eine Auslassung oder eine falsche Kapitel- oder Versangabe dazwischenkommen - die Karten würden vielleicht ungefähr so aussehen:
  • Das sollte eigentlich nicht anstößig sein: Schließlich ist „... alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt." (2 Petrus 3,16-17)  

Die etwas anderen Bibelverskarten

Im Text in Kapitel 6 ist der aaronitische Segen zu finden. In vielen Gemeinden wird er jeden Sonntag gesprochen. Dieselben Verse ein Kapitel vorher habe ich noch nie in einem Gottesdienst gehört: Hier geht es um eine Art Ritual, durch das herausgefunden werden soll, ob eine Frau ihrem Mann untreu gewesen ist. Man könnte sogar argumentieren, dass eine Art Abtreibung passieren würde, wenn sie wirklich fremdgegangen ist.

In Sprüche 3 stehen die bekannten Verse:

Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.

Das Statement ist natürlich auch schon problematisch, aber in denselben Versen 2 Kapitel weiter geht es um die Warnung vor der verführerischen“ Frau. Abgesehen, dass sie hier verteufelt wird, könnte man das Kapitel in einer wohlwollenden Lesart als eine Ermutigung zur Treue eines Mannes zu der Frau seiner Jugend sehen. Das ist natürlich im Kontext positiv, aber diese beiden Verse haben trotzdem nicht das Zeug zum Kalenderspruch.

Die Verse in Kapitel sind hoffnungsvoll:

Gesegnet ist der Mann, der sich auf den HERRN verlässt und dessen Zuversicht der HERR ist. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hin streckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern bringt ohne Aufhören Früchte.

Das ist aber in Jeremiabuch eher die Ausnahme. Ein Kapitel vorher sind die Verse deutlich deprimierender. Postkarten mit Bibelversen sind eigentlich nie deprimierend, zumindest auf den ersten Blick nicht. Aus der Perspektive des Dekonstruierenden sind viele von den schönsten“ Versen nicht mehr ganz so schön.

Aber der happy-clappy-hoffnungsvolle O-Ton der beliebtesten Bibelverse sagt meiner Meinung nach mehr über menschliche Bedürfnisse als über die Bibel aus.

Das fasst Sprüche 16,3 ganz gut zusammen:

Befiehl dem HERRN deine Werke, so wird dein Vorhaben gelingen.

Wenn man statt der 1 eine 2 liest, klingt das plötzlich ganz anders: Aber hey, ein Aufruf zur Gewalt gegen Tiere und Menschen, die nicht nach deiner Vorstellung von Weisheit oder Klugheit handeln, ist doch auch mal ganz nett zwischendurch!

Jeremia 29,11 beschreibt Gottes positive Gedanken zu seinem Volk:

Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.

Nun ja, Gott hat noch so ein paar andere Gedanken und Emotionen. Zur allgemeinen Verwirrung würde es schon reichen, wenn die 2 ein bisschen unleserlich aufgeschrieben wurde… Dann würde man das Gegenteil von hoffnungsvollen Gedanken lesen.

Hier ist es ähnlich: In Hesekiel 36 steht das mit dem neuen Herzen – also auch sehr hoffnungsvoll. Wenn die 6 verschluckt wird, ist es deutlich weniger hoffnungsvoll.

Deine Tastatur hat ne 3 zu wenig registriert? Dann landest du statt bei der Zusage der Zuwendung und Erreichbarkeit Gottes,

Rufe mich an, so will ich dir antworten und will dir kundtun große und unfassbare Dinge, von denen du nichts weißt.

bei dessen Zorn und der Strafen.

Josua 1,9 ist auch Teil jedes christlichen Pep-Talks. Dabei wird selten berücksichtigt, wozu Josua hier befähigt und ermutigt wird. Die totalitäre Herrschaft mit potenzieller Todesfolge im Fall der fehlenden Unterwerfung hab ich noch nirgends in Form von Handlettering zu Gesicht bekommen.

Dasselbe Muster findet sich auch in Jesaja 41, wo in Vers 10 die Hilfe und Nähe Gottes zugesagt wird:

fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.

Dann wird aber im selben Atemzug das Verderben von anderen explizit dargestellt.

Selektive Wahrnehmung

Das waren jetzt gewählte Gegenbeispiele. Natürlich saß ich an meinem Laptop und habe gesucht, welche Fehler meinen Punkt möglichst klarmacht. Man könnte mir zwar vorwerfen, das sei unfair – aber habe ich nicht einfach dasselbe getan wie die Christen? Hab ich nicht auch einfach mit sehr gewählten Versen ein Bild gemalt, das mindestens unvollständig ist?

Für mich stellt sich allerdings die Frage, welches Bild repräsentativer ist. Ich würde wetten, dass ein Zufallsversuch mit allen Bibelversen eher den hier abgebildeten Versen entsprechen würde. Natürlich gäbe es auch schöne Verse. Aber ein Großteil der Verse wären entweder irrelevant (da es um irgendwelche Speisegebote, Genealogien, Baumaßnahmen o.Ä. gehen würde), unverständlich, (da z.B. der Kontext des Narrativs fehlt) oder irritierend (da ein Gottesbild entstehen würde, welches nicht dem entspricht, was Christen vermitteln wollen).

Was bedeutet das für uns?

  • Ganzheitliches Bibellesen ist wichtig: Nicht nur aus christlicher Perspektive.
  • Wenn wir einen schönen Kalenderspruch lesen, müssen wir nicht unbedingt nur traurig sein – manchmal hilft schon ein bisschen Humor.

Fragen zum Weiterdenken

  • Was macht es emotional mit dir, diese Fehler“ zu lesen? Warum?
  • Wann ist der Kontext eines Bibelverses wichtig?
  • Was sagen die Lieblingsbibelverse über die Christen aus?

Ich bin gespannt, was du davon hältst – was macht das Thema mit dir? Lass uns gern in den Kommentaren ins Gespräch kommen!

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