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Wenn der christliche Gott tatsächlich der wahre ist, stellen andere Religionen eine größere Gefahr für den Glauben an ihn dar als atheistische Vorstellungen.
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Der Zugang zur richtigen Religion ist unterschiedlich leicht: Es gibt keine Chancengleichheit.
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Welche Schlüsse lassen sich aus der religiösen Vielfalt schließen?

Wenn man davon ausgeht, dass eine Selbstzuordnung zum Christentum (z. B. durch Kirchenzugehörigkeit) reicht, um jemanden als Christ einzuordnen, ist etwa jeder dritte Mensch auf Erden Anhänger der christlichen Religion. Nur ca. 15% der Weltbevölkerung gehören keiner Religion an, was ca. 55% der Menschen auf der Welt übriglässt, die anderen Religionen zuzuordnen sind. Dabei sind die Weltreligionen natürlich diejenigen mit den meisten Anhängern. Doch insgesamt gibt es über 10.000 Religionen, von denen ein großer Teil nochmal unterschiedliche Traditionen unter einem Oberbegriff versammeln.
Zahlen, Zukunft und Zufall
Wahrscheinlichkeiten für falsche Religionen
Christen, die ihrem Gott vertrauen, gehen häufig davon aus, dass Menschen, die wirklich offen für Gott oder Spiritualität sind, von Gott gefunden werden. Schließlich sagt nicht nur ihr Gottesbild, sondern sogar die Bibel derartiges:
„Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR… „(Jer 29,13-14a)
„Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“ (Luk 11,9-10)
Allerdings ist das kein Automatismus. Spirituelle Offenheit kann schließlich zu ganz unterschiedlichen Religionen führen. Wer sich vom Christentum überzeugen lässt, könnte sich in einem anderen Kontext oder einer anderen Zeit durch ähnliche Erlebnisse, Gemeinschaften oder Argumente vielleicht von anderen religiösen Traditionen überzeugen lassen.
Wenn man Christen fragt, ob sie sich schon mit allen alternativen Religionen auseinandergesetzt haben, kommt häufig die Antwort, dass das nicht nötig sei, wenn man die richtige schon gefunden hat. Dasselbe könnte aber auch jeder Vertreter einer anderen Religion sagen: Wie kann man dann beispielsweise von einem Hindu erwarten, sich mit dem Christentum auseinanderzusetzen?
Statistisch betrachtet ist es schlichtweg so: Wenn jemand an eine höhere Macht glaubt oder offen dafür ist, ist die Wahrscheinlichkeit, aus Versehen die falsche Weltanschauung zu wählen, deutlich höher als die, die richtige zu wählen. Über die Hälfte der spirituell offenen Menschen landen trotz ihrer Offenheit in einer falschen Religion. Und das setzt natürlich voraus, dass alle Christen als Christen zählen. Ansonsten wird das Problem noch deutlich größer.
Prognose
Noch ist das Christentum die größte Religion – aber wenn die Prognosen demografisch betrachtet aufgehen, werden ab 2035 mehr „muslimische Babys“ als „christliche Babys“ geboren werden, sodass in den 2050er Jahren der Islam statistisch ähnliche Zahlen haben wird wie das Christentum und sie langfristig „überholen“ werden. Spätestens dann zählt das Argument, die Mehrheit würde die richtige Religion vertreten, nicht mehr. Aber das ist hier nicht einmal das Hauptproblem: Wie kann es möglich sein, solche Prognosen aufzustellen und von „christlichen“ und „muslimischen“ Babys zu sprechen?
Das funktioniert, weil die geografischen und kulturellen Ausgangslagen starke Indikatoren für mögliche religiöse Überzeugungen liefern. Auch wenn natürlich die Ursachen dafür, warum jemand zum Glauben kommt, nichts über den Wahrheitsgehalt einer Religion aussagen, ist diese geografische Auswirkung auf religiöse Überzeugungen schon bemerkenswert.
Die geografische Komponente
Das wird durch drei Beispielpersonen vielleicht am besten deutlich:
Amal wird in Indien geboren,
Hanad in Somalia
und Maxim in Rumänien.
Wenn ich jetzt die drei Religionen Hinduismus, Islam und Christentum (Katholizismus) vorschlage, dürfte es nicht schwer für dich sein, zuzuordnen, wer wohl im Laufe seines Lebens welche Religion vertreten wird. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird…
Maxim orthodoxer Christ,
Hanad Muslim
und Amal Hindu.
Dabei ist der Wahrheitsgehalt der jeweiligen Religionen erst einmal irrelevant: Alle drei wachsen in religiös stark geprägten Ländern auf, in denen sie von klein auf mit heiligen Schriften, Weisheiten und Werten konfrontiert werden. Selbst, falls sie ab und zu mit Menschen anderer Religionen in Kontakt kommen sollten, sind sie in ihrem Kontext stark voreingenommen – schließlich spielen kognitive Verzerrungen und gruppenpychologische Prozesse in allen Religionen wichtige Rollen. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass Hanad sich beispielsweise in seinem kleinen somalischen Dorf zum Hinduismus oder Christentum bekehrt.
Wenn jedoch der geografische Faktor deutlich verlässlicher in der treffsicheren Einschätzung der Religion eines Menschen ist als sonst irgendein Kriterium, stellen sich viele Folgefragen, wie z. B.: Was bleibt von den Wahrheitsansprüchen und der Gerechtigkeit, die das Christentum zu vertreten versucht?
Das unfaire Spiel
Vielleicht macht diese Analogie es deutlich. Stell dir dafür das religiöse Leben wie einen Wettkampf mit dem Himmel als Ziel vor. Aus der christlichen Perspektive handelt es sich um einen Sprint (das ist hier ein willkürliches Beispiel, kann auch sonst irgenwas sein). In diesem Bild gesprochen wären die Startpositionen der drei Kandidaten unterschiedlich: Der Rumäne (Maxim) fängt deutlich weiter vorne an als der Inder (Amal), der vielleicht noch einen kleinen Schritt vor dem Somali (Hanad) beginnt. Denn alle drei bringen deutlich unterschiedliche Prägungen mit, die eine Bekehrung unterschiedlich wahrscheinlich machen. Schon das macht das Rennen alles andere als gerecht.
Aber das ist noch nicht alles: Denn tatsächlich weiß auch nur Maxim von den dreien, was überhaupt abgeht: Die anderen beiden glauben zwar auch an einen Wettbewerb, aber nicht an einen Sprint: Sie verstehen die Regeln und das Ziel des Wettbewerbs anders als der Katholik. Der Hindu und der Muslim haben einen völlig anderen Blick auf das Wettrennen, also auf das religiöse Leben – was nicht nur ihre Startvoraussetzungen, sondern auch ihre Fähigkeit, am „richtigen“ Wettkampf teilzunehmen, deutlich einschränkt. Und das nicht, weil sie keine Ahnung haben: Sie denken ihrerseits, als einziger das Spiel wirklich verstanden zu haben.
Verschärft wird das ganze dadurch, dass es nicht nur ums Gewinnen eines Preises geht. Maxim wird zwar belohnt, wenn er über die richtige Ziellinie läuft, aber die anderen beiden werden bestraft: Für das Nichterfüllen einer Aufgabe, von der sie entweder nicht wussten oder von der sie nicht überzeugt waren. Sie haben sich ja schließlich nicht ganz geweigert, am Rennen teilzunehmen: Sie dachten nur, es ginge um andere Aufgaben.
Die Dimension der Unerreichten
Die Frage der Gerechtigkeit dieser Situation spitzt sich im theologischen Diskurs in der Frage nach den Unerreichten zu: Was passiert mit denen, die noch nie vom richtigen Gott gehört haben? Jede Antwort auf diese Frage macht Probleme:
Denn entweder man…
a) ermöglicht einen Weg der Erlösung, auf dem das Wissen um Jesus nicht das Kriterium ist.
Dadurch stellt sich die Frage stellt, ob nicht Mission und Evangelisation kontraproduktiv sind, weil Menschen ja dadurch die Möglichkeit bekommen, in die Hölle zu kommen.
b) sagt, dass diese Menschen „verloren gehen“
– also für immer an lebendigem Leib verbrennen werden – was (hoffentlich) im Gerechtigkeitssinn eines jeden Menschen Alarmglocken aufklingen lässt. (Hier könnte natürlich auch Annihilismus, also statt Hölle ein Nicht-mehr-existieren vorgebracht werden, was das Problem entschärfen würde. Dennoch wäre es unfair, weil den Betroffenen eine Chance für eine Ewigkeit mit Gott verwehrt geblieben wäre.)
c) behauptet, alle, die das Evangelium nie hören, hätten sich sowieso dagegen entschieden.
Das ist mal wieder so ein Statement, das weder falsifizierbar noch verifizierbar ist. Aber damit ist natürlich die Tür zur Frage nach dem freien Willen und der Gerechtigkeit dessen, dass Gott diese Menschen trotzdem geschaffen hat, weit geöffnet.
d) postuliert, es gäbe für sie nach ihrem Tod die Möglichkeit, sich zu entscheiden
– was wiederum den Sinn dieser Welt und des Verstecktseins Gottes im Hier und Jetzt infrage stellt. Außerdem gäbe es in der Konsequenz die Frage: Warum gilt diese Ausnahme nur diesen Menschen?
Die schiefe Ebene
Im übertragenden Sinne eröffnet die Frage nach den Unerreichten eine schiefe Ebene für die Frage nach „Verlorenen“ insgesamt. Als Argument der schiefen Ebene (bzw.Dammbruchargument/Slippery-Slope-Argument) bezeichnet man normalerweise moralische Zugeständnisse, durch die sich die Tür zu viel größeren Rechtfertigungen für unmoralische Verhaltensweisen rechtfertigen lassen.
Aber auch hier wirken sich mögliche Zugeständnisse an Unerreichte auf den Blick auf Unglaubende insgesamt auf: Denn wo hört das auf? Wenn es für unerreichte Menschen extra-Reglungen gibt, für welche andere Gruppe noch? Und wer gilt überhaupt als erreicht? Schließlich sind die Ausgangsvoraussetzungen unterschiedlich: Wenn jemand sich nicht bekehrt, ist es selten eine bewusste Entscheidung gegen das Christentum – viel häufiger ist es einfach ein Überzeugtsein von einer anderen Weltanschauung.
Stell dir vor, Amal lebt seinen normalen Alltag als Hindu und hört dann von einem Missionar einmal etwas, das näherungsweise das Evangelium sein könnte. Es ist weder besonders eloquent, noch verständlich – 5 Minuten später ist er gedanklich schon wieder in seinem Alltag angekommen, die Begegnung geht als flüchtige Erinnerung in sein Kurzzeitgedächtnis ein und schon bald hat er es weitestgehend vergessen. So geht sein Leben einfach weiter.
Oder Hanad, der sein Leben lang vor Christen und ihrer falschen Lehre gewarnt wird, stößt eines Tages auf ein YouTube Video, in dem das Evangelium erklärt wird. Aber durch seine Prägung ist er voreingenommen und nicht einmal näherungsweise überzeugt. Auch er lebt (ahnungslos gegenüber der Bedeutungsschwere der wenigen Minuten vor seinem Bildschirm) sein Leben einfach weiter.
Was ist jetzt mit den beiden? Bekommen die post mortem noch ne Chance? Wie viel Evangelium muss man wann gehört haben, um als „Erreichter“ zu gelten? Auch hier wird es sehr schnell schwammig, nicht zuletzt, weil biblische Klarheit fehlt. Die letzte Antwort ist, dass Gott am Ende gerecht richten wird und sich niemand unfair behandelt fühlen wird. Das würde immerhin die Ewigkeitsperspektive etwas weniger problematisch machen – zumindest, wenn man Gott als Maßstab der Gerechtigkeit ansetzt und ewige Strafen für zeitliche Schuld angemessen findet. Aber innerweltlich würde es das Problem eher nicht lösen. Denn Christen glauben, dass sich ein Leben mit Gott und ein Leben ohne Gott qualitativ stark unterscheiden. Demnach wäre es gerecht, wenn Amal und Hanad dieselbe Chance auf solch ein Leben hätten wie Maxim.
Plausibilitätsstrukturen
Also: Es müsste nicht so sein, dass man zusätzlich zu der Hürde, überhaupt von der Existenz eines Gottes überzeugt zu sein, dann noch vor der riesigen Auswahl steht, die die Welt anbietet. Vor allem müssten die verschiedenen Religionen nicht je nach geografischen und kulturellen Kontext unterschiedlich plausibel erscheinen.
Häufig vergessen Menschen in diesen Diskussionen die Allmacht Gottes: Es müsste nicht so sein:
- Es müsste nicht 10.000 falsche Religionen zur Auswahl geben.
- Es müsste keine so große Korrelation zwischen Kultur, geografischer Lage und Religion geben.
- Vor allem müssten die Alternativen zum Christentum nicht so ähnlich aussehen.
- Das Christentum könnte stärkere Alleinstellungsmerkmale haben.
- Wahrheit könnte erkennbarer sein.
Dass das nicht so ist, ist an sich noch kein klares Argument für oder gegen den Wahrheitsgehalt einer bestimmten Religion. Aber es wirft einen Schatten auf die überlieferten Eigenschaften und Prioritäten Gottes.
Berechtigte Wahl?
Statt einer klaren Kommunikation seitens Gott haben wir ein großes Wirrwarr religiöser Vorstellungen innerhalb und außerhalb des Christentums, die einander widersprechen. Die Wahrscheinlichkeit, zufällig (oder subjektiv von Gott geführt) die richtige Wahl zu treffen, ist schwindend gering.
Ich fand diese Bemerkung als Christin immer recht flapsig, aber es ist schon etwas dran: Ich bin im Vergleich zu Christen nur einem Gott mehr gegenüber nicht überzeugt. Christen sind auch in Bezug auf 99% der vorgeschlagenen Götter Atheisten. Für mich ist es einfach ein weiterer Gott. Und ja, keine Wahl zu treffen kann man durchaus auch als Entscheidung sehen. Aber angesichts der zig Möglichkeiten, sich zu verwählen, ist das meines Erachtens durchaus eine berechtigte Position.
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